Freitag, 4. August 2006
Agaton Sax und die vertrackte Rübenmusaffäre
So heißt einer dieser ungemein spannenden Schwedenkrimis. Allerdings ohne zerstückelte Ritualmordleichen und beißende Gesellschaftskritik. Ein Kinderkrimi. Nicht Mankell, sondern Nils-Olof Franzén. Deswegen darf ihn auch der Sohn meiner Freundin lesen. Er ist neun und hat bereits die Mitratekrimis von Wolfgang Ecke für sich entdeckt. Nun liegt also "Agaton Sax" in seinem grünen Einband im Kinderzimmer. Ich muss daran denken, unter welchen Umständen ich zu dem Buch kam.
Wir schreiben das Jahr 1979. Ich bin zehn Jahre alt.
Und ich bin empört. Ich verbringe die Sommerferien mit meinen Eltern. Doch während andere Kinder verschärfte Ferien an der See oder in den Bergen verleben dürfen (teilweise sogar im Ausland), um dann braungebannt und weltmännisch in der Schule davon zu berichten, sitze ich in einer der übelsten Gegenden des Landes: In Bad W., wo meine Eltern eine Kur gebucht haben. Natürlich hat vor allem meine Mutter versucht, mir die ganze Bad W.-Unternehmung als Urlaub zu verkaufen. Nicht mit mir. Ich kenne mich aus. Kur! Eine Kur ist kein Urlaub. Kuren riechen nach Pestilenz und Tod, moribunde Menschen schleppen sich tapferen Blickes zu ihren Anwendungen, drittklassige Orchester fiedeln den lieben langen Tag gefällige Stücke im Kurpark und der Altersdurchschnitt der Kurgäste liegt bei 87 Jahren. Ich will mir das nicht bieten lassen. Es sind schließlich die großen Ferien. Zum ersten Mal in meinem Leben befinde ich mich in massiver, dauerhafter Opposition zu meinen Eltern. Über Tage hinweg. Diese Tage verlaufen nach dem stets gleichen Schema. Aus dem Zimmer der Privatunterkunft (es gibt noch zwei andere Zimmer, in denen je eine alte, laute, unangenehme Frau logiert) werden meine Eltern jeden Morgen zu einer unverschämt frühen Zeit in den Keller genötigt, wo sie mit eiskaltem Wasser aus dem Schlauch traktiert werden. Na toll. Was für ein Urlaub. Bad W. rühmt sich seiner "Wasserkuren". Ich darf immerhin weiterschlafen. Nach einem frugalen Frühstück geht es dann los in die wenig aufregende Fußgängerzone der Stadt. Auch hier verweilt man gerne zum Wassertreten. Kleine Wanderungen in die nähere Umgebung, der Besuch im Kurpark mit Konzert, ein leichtes Mittagessen, vielleicht noch eine Partie Minigolf, Zeitung lesen im Zeitschriftensaal. Dann ist der Tag schon wieder vorbei. Mir ist langweilig. Ich wäre gern woanders. Auch zuhause. Alles ist besser als dieses elende Kurbad mit seinen Gästen, die ständig zwanghaft die Hosen hochkrempeln, um in jedes erreichbare Wasserbecken zu springen. Nach den Wassertretkuren unterhält man sich gerne mit Zufallsbekanntschaften über seine Gebrechen. Wildfremde Menschen protzen mit ihren künstlichen Hüftgelenken und zeigen stolz ihre Kriegsverletzungen. Widerlich, einfach widerlich. Diverse Ärztebesuche sind auch erforderlich. Das darf nicht wahr sein. So kann das nicht weitergehen. Ich streike. Ich mache nicht mehr mit. Ich werde immer unausstehlicher. Aber wir reisen nicht ab aus Bad W., sondern bleiben bis zum bitteren Ende.
Natürlich. Ich bin eingeknickt. Habe mich kaufen lassen. Korrupt, wie ich bin. Mit Büchern. Vielen Büchern. Und lesend habe ich die Zeit bis zur ersehnten Heimfahrt gut hinter mich gebracht. "Agaton Sax und die vertrackte Rübenmusaffäre" war auch dabei. Wenn ich das vergilbte Taschenbuch im Kinderzimmer sehe, lächle ich süß-sauer und denke an das Jahr 1979.
Wir schreiben das Jahr 1979. Ich bin zehn Jahre alt.
Und ich bin empört. Ich verbringe die Sommerferien mit meinen Eltern. Doch während andere Kinder verschärfte Ferien an der See oder in den Bergen verleben dürfen (teilweise sogar im Ausland), um dann braungebannt und weltmännisch in der Schule davon zu berichten, sitze ich in einer der übelsten Gegenden des Landes: In Bad W., wo meine Eltern eine Kur gebucht haben. Natürlich hat vor allem meine Mutter versucht, mir die ganze Bad W.-Unternehmung als Urlaub zu verkaufen. Nicht mit mir. Ich kenne mich aus. Kur! Eine Kur ist kein Urlaub. Kuren riechen nach Pestilenz und Tod, moribunde Menschen schleppen sich tapferen Blickes zu ihren Anwendungen, drittklassige Orchester fiedeln den lieben langen Tag gefällige Stücke im Kurpark und der Altersdurchschnitt der Kurgäste liegt bei 87 Jahren. Ich will mir das nicht bieten lassen. Es sind schließlich die großen Ferien. Zum ersten Mal in meinem Leben befinde ich mich in massiver, dauerhafter Opposition zu meinen Eltern. Über Tage hinweg. Diese Tage verlaufen nach dem stets gleichen Schema. Aus dem Zimmer der Privatunterkunft (es gibt noch zwei andere Zimmer, in denen je eine alte, laute, unangenehme Frau logiert) werden meine Eltern jeden Morgen zu einer unverschämt frühen Zeit in den Keller genötigt, wo sie mit eiskaltem Wasser aus dem Schlauch traktiert werden. Na toll. Was für ein Urlaub. Bad W. rühmt sich seiner "Wasserkuren". Ich darf immerhin weiterschlafen. Nach einem frugalen Frühstück geht es dann los in die wenig aufregende Fußgängerzone der Stadt. Auch hier verweilt man gerne zum Wassertreten. Kleine Wanderungen in die nähere Umgebung, der Besuch im Kurpark mit Konzert, ein leichtes Mittagessen, vielleicht noch eine Partie Minigolf, Zeitung lesen im Zeitschriftensaal. Dann ist der Tag schon wieder vorbei. Mir ist langweilig. Ich wäre gern woanders. Auch zuhause. Alles ist besser als dieses elende Kurbad mit seinen Gästen, die ständig zwanghaft die Hosen hochkrempeln, um in jedes erreichbare Wasserbecken zu springen. Nach den Wassertretkuren unterhält man sich gerne mit Zufallsbekanntschaften über seine Gebrechen. Wildfremde Menschen protzen mit ihren künstlichen Hüftgelenken und zeigen stolz ihre Kriegsverletzungen. Widerlich, einfach widerlich. Diverse Ärztebesuche sind auch erforderlich. Das darf nicht wahr sein. So kann das nicht weitergehen. Ich streike. Ich mache nicht mehr mit. Ich werde immer unausstehlicher. Aber wir reisen nicht ab aus Bad W., sondern bleiben bis zum bitteren Ende.
Natürlich. Ich bin eingeknickt. Habe mich kaufen lassen. Korrupt, wie ich bin. Mit Büchern. Vielen Büchern. Und lesend habe ich die Zeit bis zur ersehnten Heimfahrt gut hinter mich gebracht. "Agaton Sax und die vertrackte Rübenmusaffäre" war auch dabei. Wenn ich das vergilbte Taschenbuch im Kinderzimmer sehe, lächle ich süß-sauer und denke an das Jahr 1979.
Waldorff, 21:51h