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Dienstag, 14. Juni 2005
St. Johannis im Sommer
Ich bin zu beneiden. Ich wohne in einem besonderen Stadtteil. Nur wenige Meter von meiner preisgünstigen Wohnung entfernt befindet sich ein kulturhistorisch bedeutender Friedhof, auf dem viele der künstlerischen Größen meiner Heimatstadt ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Diejenigen aus der Glanzzeit dieser
Stadt. Nun gut, diese Zeit liegt ein halbes Jahrtausend zurück. Jetzt sind wir nur noch Provinz. Aber auch hier läßt es sich leben. Und das nicht mal schlecht.

Zugegeben, im Winter ist es zuweilen ein wenig trist und grau.
Schmutzigschwarzer Schnee liegt auf den Straßen. Mißmutige Menschen stapfen umher. Die Zeichen des wirtschaftlichen Niedergangs sind deutlicher zu sehen als zu anderen Jahreszeiten. Viele Ladengeschäfte bleiben leer. Die Kneipe um die Ecke hat in den letzten fünf Jahren mehrmals den Pächter gewechselt. Das Publikum bleibt das gleiche. Genau wie die üble Musik, die auf die Straße dringt. Der Name wechselt, immer jedoch ist ein Apostroph im Spiel, was mich stets aufs Neue ärgert.

Seit einiger Zeit gibt einen türkischen Markt mit einem beeindruckenden Angebot an Gemüse, Obst, Schafskäse und Gewürzen. Das ist praktisch.

Das beste in meinem Viertel ist jedoch eindeutig der Sommer, den es fast jedes Jahr bei uns gibt. Der Sommer in St. Johannis. Jenseits der Johannisstraße liegt der Pegnitzgrund. Der kleine Fluß, an dem die Stadt liegt, schlängelt sich in Richtung Nachbarstadt und an beiden Seiten erstreckt sich das Grün. Sobald es warm wird, bevölkert sich der Grund mit den unterschiedlichsten Menschen.

Liegefahrräder fahren den Weg entlang, man sieht einen Kopf mit Zopf, Helm und eine Brille mit Drahtgestell vorbeihuschen. Entweder ist diese Kopfzopfhelm-Kombination zwingend polizeilich vorgeschrieben oder ich sehe seit Jahren ein und denselben Menschen durch mein Viertel radeln. Gefertigt werden solche Fahrräder übrigens gleich um die Ecke. Dort schweißt und schraubt man auch Rikschas zusammen. Mit Zeltdach drüber.

Es gibt die dauerbekifften Bongospieler, die mit glücklichem, wenngleich leicht debilem Grinsen tagelang vor sich hin trommeln, der mystischen Entrückung entgegegen. Trotz ihrer unverkennbar blonden Haare haben sie sich mit afrikanisch aussehenden Teppichen behängt.

Die immer etwas arroganten Boulespieler werfen ihre in der Sonne glitzernden Metallkugeln mit sonorem Klacken und kommentieren ihre Würfe wortreich. Die kackenden Hunde gehen allen auf die Nerven. Der Geruch nach Hammelfett, der von den grillenden türkischen Großfamilien herüberweht, koexistiert friedlich mit dem von fränkischen Bratwürsten. Feuerwehrsirenen sind zu hören, denn oft gibt es bei den Grillfreunden aller Nationen mehr Rauch als Feuer. Gurgelnde Schreie dringen aus dem defizitären städtischen Schwimmbad gleich nebenan. Ab und an kommt auch eine Lautsprecheransage von dort, die aber alle ignorieren.

Die nordicwalkenden Menschen mit ihren energischen, kantigen Bewegungen und dem stoßweißen Pusten beherrschen erst seit letztem Jahr die Szene, gerne pausieren sie ein paar Minuten, um den Boulespielern zuzusehen.

Rollschuhfahrer surren schwungvoll vorbei und sind schon wieder am Horizont verschwunden, während russische Jungen mit schwarzen Schiebermützen schwerfällig gehen, in ihrer Hand die Brausewodkamischung in der praktischen 1,5 Liter PET-Flasche. Später werden sie sich in die Büsche am Wegesrand schlagen. Ist die Sonne untergangen, singen sie dort gefühlvolle, melancholische russische Lieder.

Jogger sehen indes nervös auf ihren Pulsmesser, Radfahrer weichen allen anderen aus, erstaunlich junge Mütter schieben Kinderwägen oder lassen sie schieben. Manchmal hört man leises Fluchen. Dennoch bleiben die Menschen gelassen. Stilvolle Flaneure jeder Stilrichtung Art vergessen die Tageszeit, andere hängen einfach nur so rum.

Nette Mädchen ziehen ihre leichten bunten Sommerkleider aus, um sich in Badeanzug oder Bikini auf ihr Handtuch zu legen und in einem dicken Buch zu lesen. Andere Mädchen lesen nicht, führen aber gerne vor, wie sie auf ihren neuen Sandalen trotz höchster Absätze sicher balancieren können. Sie genießen lächelnd die Aufmerksamkeit des männlichen Publikums. Wenn sie mit ihrer Strecke fertig sind, gehen sie einfach wieder zurück.

Ein Aikidomeister mit einem Holzprügel und drei Jüngern hat seinen würdevollen Auftritt. Alle tragen Stirnbänder und vollführen langsame Bewegungen. Ab und an schreit der Meister was. Ist wohl japanisch. Mehr oder weniger. Die anderen verbeugen sich. Dann geht es weiter.

Eine friedliche Szenerie. Selbst die bulligen Mopedlesben lächeln.
Waldorff, 13:30h

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St. Johannis, wie ich Dir schon mal sagte, ist das Greenwich Village von Nermberch. Gerade das richtige für so einen Flaneur wie Dich eben.

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Gerade vergangen:
Wo?
Wo hört (oder gar sieht) man davon? In welchem Kontext?...
MaxMeier - 3. Jul, 17:20
Ein Be(tr/s)offener
Da gabs doch mal was mit der eigenen Nase...
MaxMeier - 3. Jul, 17:12
Ausziehmädchen
Man hört in letzter Zeit so viel von diesen ominösen...
by Waldorff (24. Apr, 17:19)
Gell? Vielleicht sollte...
Gell? Vielleicht sollte ich mal ein Drehbuch verfassen...
Waldorff - 16. Apr, 15:39
Das nenn ich Schlagfertigkeit...
Das nenn ich Schlagfertigkeit ;-)
novesia - 16. Apr, 15:16

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