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Freitag, 11. November 2005
Sitzen bleiben, Alter!
Ich sitze in der U-Bahn. Es ist Sonntag. Schräg gegenüber sehe ich ein älteres Ehepaar. Agile Wandersleute, mitte sechzig, mit den obligatorischen karierten Hemden, modernen Wanderdoppelstöcken, Trekkingschuhen und schweren Rucksäcken. Gut ausgerüstet. Der Mann hat welliges graues Haar, seine Frau eine Dauerwelle und eine Brille. Offenbar sind die beiden auf dem Weg zum Bahnhof, um mit einem Regionalzug in die wunderschöne Umgebung meiner beschaulichen Heimatstadt zu fahren. Eine Station vor dem Bahnhof springt der Mann auf wie ein geölter Blitz. Bevor er sich jedoch um die Sitzbank drehen kann, schließt sich eine Hand wie ein Schraubstock um seinen Arm. "Sitzen bleiben, Alter!", ruft seine Frau. Sehr bestimmt und bestimmend. Sie zieht ihn zurück. Er setzt sich wieder. Rot im Gesicht ist er geworden und blickt starr geradeaus. Seine Hände umklammern angespannt seine Knie. Was nun kommt, kennt er wohl schon. Er weiß, was er zu erwarten hat. Sagt keinen Ton. Es folgen Fragen, Vorwürfe, Belehrungen. Er reagiert nicht, läßt alles über sich ergehen. Ich nicke ihm komplizenhaft zu. Dann steige ich auch aus.
Waldorff, 20:24h
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Mittwoch, 2. November 2005
Christen
Ich finde Christen bedrohlich.
Diese Aussage ist furchtbar pauschal und undifferenziert.
Eine Frechheit obendrein.
Weiß ich doch. Ungerecht bin ich mit denjenigen, die sich jenseits des schnöden Alltags mit den Dingen beschäftigen, die sonst unbeachtet blieben. Den letzten Fragen. Einer gerechteren Verteilung des Wohlstands. Der Einbeziehung von Randgruppen. Der spirituellen Erneuerung des Abendlandes. Genau.
Ich bleibe trotzdem dabei. Ich kann das alles nicht leiden.
Es gibt da diese Strickpullover und mit Streifensocken getragene Sandalen, die bei mir akutes Unwohlsein auslösen. Manchmal nehme ich auf der Straße bunte Tücher, matte Farben, dumpfe Gerüche und geklampfte Gesänge, triste Topffrisuren und debile Dauerwellen wahr, die mich ängstigen. Mich erschrecken die wogenden Massen junger und "junggebliebener" kräuterteetrinkender Gläubiger auf Kirchentagen beider Konfessionen.
Ich denke dann an Religionslehrer mit klümpchenhafter Speichelbildung in den Mundwinkeln und feuchter Aussprache.
Da halte ich die andere Wange bestimmt nicht mehr hin.
Diese Aussage ist furchtbar pauschal und undifferenziert.
Eine Frechheit obendrein.
Weiß ich doch. Ungerecht bin ich mit denjenigen, die sich jenseits des schnöden Alltags mit den Dingen beschäftigen, die sonst unbeachtet blieben. Den letzten Fragen. Einer gerechteren Verteilung des Wohlstands. Der Einbeziehung von Randgruppen. Der spirituellen Erneuerung des Abendlandes. Genau.
Ich bleibe trotzdem dabei. Ich kann das alles nicht leiden.
Es gibt da diese Strickpullover und mit Streifensocken getragene Sandalen, die bei mir akutes Unwohlsein auslösen. Manchmal nehme ich auf der Straße bunte Tücher, matte Farben, dumpfe Gerüche und geklampfte Gesänge, triste Topffrisuren und debile Dauerwellen wahr, die mich ängstigen. Mich erschrecken die wogenden Massen junger und "junggebliebener" kräuterteetrinkender Gläubiger auf Kirchentagen beider Konfessionen.
Ich denke dann an Religionslehrer mit klümpchenhafter Speichelbildung in den Mundwinkeln und feuchter Aussprache.
Da halte ich die andere Wange bestimmt nicht mehr hin.
Waldorff, 15:18h
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Freitag, 21. Oktober 2005
Schreibblockade
Sie ist bekannt, aber trotzdem:
Ich mag sie einfach, die Geschichte des Joseph Mitchell, Journalist beim "New Yorker".
Er beschrieb das aufregende New York seiner Zeit, die Absonderlichkeiten des Alltags, exzentrische Persönlichkeiten. Und das in einer wunderbaren, stilbildenden Sprache. Er wurde zum Vorbild für viele amerikanische Journalisten und Schriftsteller. Für manche ist Mitchell gar der bedeutendste amerikanische Journalist des 20. Jahrhunderts.
Mit Mitte 50 ging nichts mehr. Schreibblockade. Mitchell betrat täglich die Redaktionsräume des "New Yorker" und verschloß sorgsam die Tür seines Büros hinter sich.
Zum Mittagessen kam er wieder raus.
Scheinbar arbeitete er auch an irgendetwas. Doch an was?
Bis zu seinem Tod im Jahr 1996 hat Mitchell nie wieder Texte von Belang veröffentlicht, obwohl er regelmäßig und stets pünktlich sein Büro aufsuchte.
Gab es ein Personalgespräch? Übte man Druck auf ihn aus? Wurde er gemobbt?
Nein. Offensichtlich waren Mitchells Kollegen immer zu höflich, um ihn direkt zu fragen, woran er denn tatsächlich arbeite.
Nicht schlecht.
Übrigens: Der "New Yorker" ist in diesem Jahr 80 geworden.
Ich mag sie einfach, die Geschichte des Joseph Mitchell, Journalist beim "New Yorker".
Er beschrieb das aufregende New York seiner Zeit, die Absonderlichkeiten des Alltags, exzentrische Persönlichkeiten. Und das in einer wunderbaren, stilbildenden Sprache. Er wurde zum Vorbild für viele amerikanische Journalisten und Schriftsteller. Für manche ist Mitchell gar der bedeutendste amerikanische Journalist des 20. Jahrhunderts.
Mit Mitte 50 ging nichts mehr. Schreibblockade. Mitchell betrat täglich die Redaktionsräume des "New Yorker" und verschloß sorgsam die Tür seines Büros hinter sich.
Zum Mittagessen kam er wieder raus.
Scheinbar arbeitete er auch an irgendetwas. Doch an was?
Bis zu seinem Tod im Jahr 1996 hat Mitchell nie wieder Texte von Belang veröffentlicht, obwohl er regelmäßig und stets pünktlich sein Büro aufsuchte.
Gab es ein Personalgespräch? Übte man Druck auf ihn aus? Wurde er gemobbt?
Nein. Offensichtlich waren Mitchells Kollegen immer zu höflich, um ihn direkt zu fragen, woran er denn tatsächlich arbeite.
Nicht schlecht.
Übrigens: Der "New Yorker" ist in diesem Jahr 80 geworden.
Waldorff, 18:04h
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