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Samstag, 3. Dezember 2005
Ein Vormittag. Und die Wände sind dünn.
Nervöses Fummeln am Sicherheitstürschloss. Keifende Stimmen im Treppenhaus. Keuchen. Klingeln. Schreien. Scharren. Schimpfen. Tür auf. Tür zu. Wieder fummeln. Zwei Schlösser. Die Nachbarin geht zu den Briefkästen. Ein Stockwerk. Stöhnen. Die Treppe wieder rauf. Keuchen. Schlurfen. Fummeln. Zwei Schlösser. Stöhnen. Garderobengezirpe hinter mir. Keuchen. Die Wände sind dünn. Husten.
20 Minuten für die ganze Aktion. Schlossgefummel zweites Schloss. Unter mir sind inzwischen die beiden Psychopathen aufgewacht und herrschen sich gewohnheitsgemäß an. Ich kenne die Modulation der Stimmen. Sie macht ihm schrille Vorwürfe. Er kontert mit einer seit 50 Jahren unveränderten komplizierten Satzmelodie. Es hat eine Weile gedauert, bis ich die Worte durch die ebenfalls dünne Decke hindurch deuten konnte: "Ach komm, hör doch auf, hör doch auf, hör doch auf. Halt die Fresse, ach komm, halt doch Deine Fresse, du blöde Sau!". Unverständliches schrilles Keifen ihrerseits. Seine Erwiderung variiert nicht, sein Text beschränkt sich auf das Wesentliche und er sieht keine Veranlassung, die bewährten Sätze zu überarbeiten. Das Schauspiel dauert von 7.30 Uhr bis 0.30 Uhr, auch am Wochende. Wie jetzt. Um ihre Sprecheinsätze in diesem absurden Theater, das seit 1956 aufgeführt wird, nicht zu gefährden, verlassen die beiden Alten ihre Wohnung nicht mehr. Wie praktisch. Nun gut, eine weitere verlässliche Größe in meinem Leben. Wieder lautes Schlüsselgefummel hinter mir. Schnaufen. Schauen. Irgendjemand hat irgendwo geklingelt. Ein Schritt auf den Treppenabsatz. Lauteres Schnaufen. Warten. Wieder zurück zur Tür. Richtig – Gefummel an den Schlössern. Quietschen. Tür wieder zu. Garderobengezirpe hinter meiner Wand. Die Hauswirtin steigt prustend die Treppen hoch. Ruft etwas Unverständliches. Der Adressat diese Rufes ist nicht auszumachen. Meine Nachbarin nimmt dies zum Anlass, die Tür wieder zu entriegeln. Kurze Begrüßung zwischen Hauswirtin und Nachbarin. Drei Sätze. Jaja, das Wetter. Verabschiedung. Tür wird wieder verschlossen. Gefummel. Und nochmal. Sicherheitsschloss. Ordnung muss sein. Klingeln, erst bei anderen Mietern, dann bei mir. Es wird geöffnet. "Die Poooost, danke. Die Poooost, danke!!!" Währenddessen ist die Lautstärke in der Wohnung unter mir größer geworden. Der Mann brüllt. Die Frau schreit. Noch eine Stunde und die beiden können Mittagspause machen. Das haben sie sich verdient.
20 Minuten für die ganze Aktion. Schlossgefummel zweites Schloss. Unter mir sind inzwischen die beiden Psychopathen aufgewacht und herrschen sich gewohnheitsgemäß an. Ich kenne die Modulation der Stimmen. Sie macht ihm schrille Vorwürfe. Er kontert mit einer seit 50 Jahren unveränderten komplizierten Satzmelodie. Es hat eine Weile gedauert, bis ich die Worte durch die ebenfalls dünne Decke hindurch deuten konnte: "Ach komm, hör doch auf, hör doch auf, hör doch auf. Halt die Fresse, ach komm, halt doch Deine Fresse, du blöde Sau!". Unverständliches schrilles Keifen ihrerseits. Seine Erwiderung variiert nicht, sein Text beschränkt sich auf das Wesentliche und er sieht keine Veranlassung, die bewährten Sätze zu überarbeiten. Das Schauspiel dauert von 7.30 Uhr bis 0.30 Uhr, auch am Wochende. Wie jetzt. Um ihre Sprecheinsätze in diesem absurden Theater, das seit 1956 aufgeführt wird, nicht zu gefährden, verlassen die beiden Alten ihre Wohnung nicht mehr. Wie praktisch. Nun gut, eine weitere verlässliche Größe in meinem Leben. Wieder lautes Schlüsselgefummel hinter mir. Schnaufen. Schauen. Irgendjemand hat irgendwo geklingelt. Ein Schritt auf den Treppenabsatz. Lauteres Schnaufen. Warten. Wieder zurück zur Tür. Richtig – Gefummel an den Schlössern. Quietschen. Tür wieder zu. Garderobengezirpe hinter meiner Wand. Die Hauswirtin steigt prustend die Treppen hoch. Ruft etwas Unverständliches. Der Adressat diese Rufes ist nicht auszumachen. Meine Nachbarin nimmt dies zum Anlass, die Tür wieder zu entriegeln. Kurze Begrüßung zwischen Hauswirtin und Nachbarin. Drei Sätze. Jaja, das Wetter. Verabschiedung. Tür wird wieder verschlossen. Gefummel. Und nochmal. Sicherheitsschloss. Ordnung muss sein. Klingeln, erst bei anderen Mietern, dann bei mir. Es wird geöffnet. "Die Poooost, danke. Die Poooost, danke!!!" Währenddessen ist die Lautstärke in der Wohnung unter mir größer geworden. Der Mann brüllt. Die Frau schreit. Noch eine Stunde und die beiden können Mittagspause machen. Das haben sie sich verdient.
Waldorff, 19:39h
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Platte Platten
Was können zukünftige Archäologen über uns lernen? Welche Artefakte werden sie mit angewidertem Gesichtsausdruck und spitzen Fingern aus den Trümmern unserer Zivilisation zerren? Welche gewagten Deutungen über Glaubensnormen, Gesellschaftsform, sexuelle Gewohnheiten und Machtverhältnisse lassen zum Beispiel diese Plattencover zu?
Waldorff, 13:24h
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Montag, 28. November 2005
En passant
Das war ja überfällig. Bereits der Boxerpoet Arthur Cravan bewies zu Beginn des letzten Jahrhunderts, wie harmonisch sich Kampfsport und Literatur miteinander verbinden lassen. (Zu Herrn Cravan demnächst mehr!)
Nun aber diese amüsante Kombination:
Schachboxen. Die Idee könnte von Herrn Booldog oder mir stammen. Tut sie nicht. Uppercut und Nimzowitsch-Indisch. Mittelspiel mit Mundschutz. Gewinnen kann man die Partie/den Kampf am Brett oder im Ring, die Box- und Schachrunden wechseln sich ab. Das ist doch mal eine Sportart, auf die wir gewartet haben. Etwas für intelligente Einzelkämpfer. Oder Spinner.
Nun aber diese amüsante Kombination:
Schachboxen. Die Idee könnte von Herrn Booldog oder mir stammen. Tut sie nicht. Uppercut und Nimzowitsch-Indisch. Mittelspiel mit Mundschutz. Gewinnen kann man die Partie/den Kampf am Brett oder im Ring, die Box- und Schachrunden wechseln sich ab. Das ist doch mal eine Sportart, auf die wir gewartet haben. Etwas für intelligente Einzelkämpfer. Oder Spinner.
Waldorff, 11:53h
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Donnerstag, 24. November 2005
Hypnotisch
Biographien - eigentlich lese ich sie nicht mehr. Die konstruierte Zwangsläufigkeit eines Lebens, angefangen mit der Geschichte der Großeltern, den Kinderkrankheiten und der ersten Liebe - wen interessiert's?
Muss das sein? Erinnerungen der Zeitgenossen, wieder aufgetauchte Briefe, sensationelle Fundstücke aus den Archiven und nie zuvor gezeigtes Bildmaterial aus Privatbesitz.
Ist es der Wunsch nach Erbauung und Bestätigung im banalen Alltag oder schierer Voyeurismus, der bildungsbeflissene Bürger in die eigens gekennzeichneten Regalabschnitte greifen lässt? Warum habe ich früher so gerne Biographien gelesen?
Keine Ahnung. Eher zufällig ist mir vor einigen Tagen die Biographie "Frau Thomas Mann" des Ehepaars Jens in die Hände gefallen. Und beim Blättern fand ich eine Stelle, bei der ich doch grinsen musste. Das jungvermählte und - wie man dem Buch entnehmen kann - sexuell durchaus unerfahrene Paar verbrachte seine Flitterwochen in Zürich. Die "androgyne" Haltung Thomas Manns dürfte das Projekt "Zeugung des ersten Kindes" nicht vereinfacht haben. Sowohl Thomas als auch Katia Mann haben sich deshalb während eines nicht geringen Teils ihres zweiwöchigen Schweiz-Aufenthaltes bei diversen Ärzten und anderen "Spezialisten" herumgedrückt.
Nicht gerade das normale Programm einer klassischen Hochzeitsreise. Genüsslich, so scheint es zumindest, vermerkt das Ehepaar Jens "penible philologische Forschungen" hätten in Thomas Manns Notizbuch die Namen von Ärzten identifiziert, die "[...] auch in diskreten Regionen Bescheid wußten."
Und:
"Vielleicht hatte eine Zürcher Gynäkologin die junge Frau verständig beraten, so, wie es im Fall des Partners zwei Nervenärzte oder der Hypnotiseur Dr. med. Ringier getan haben mögen."
Neun Monate später wurde das Kind übrigens geboren.
Hypnotiseur - ich fand's lustig.
Muss das sein? Erinnerungen der Zeitgenossen, wieder aufgetauchte Briefe, sensationelle Fundstücke aus den Archiven und nie zuvor gezeigtes Bildmaterial aus Privatbesitz.
Ist es der Wunsch nach Erbauung und Bestätigung im banalen Alltag oder schierer Voyeurismus, der bildungsbeflissene Bürger in die eigens gekennzeichneten Regalabschnitte greifen lässt? Warum habe ich früher so gerne Biographien gelesen?
Keine Ahnung. Eher zufällig ist mir vor einigen Tagen die Biographie "Frau Thomas Mann" des Ehepaars Jens in die Hände gefallen. Und beim Blättern fand ich eine Stelle, bei der ich doch grinsen musste. Das jungvermählte und - wie man dem Buch entnehmen kann - sexuell durchaus unerfahrene Paar verbrachte seine Flitterwochen in Zürich. Die "androgyne" Haltung Thomas Manns dürfte das Projekt "Zeugung des ersten Kindes" nicht vereinfacht haben. Sowohl Thomas als auch Katia Mann haben sich deshalb während eines nicht geringen Teils ihres zweiwöchigen Schweiz-Aufenthaltes bei diversen Ärzten und anderen "Spezialisten" herumgedrückt.
Nicht gerade das normale Programm einer klassischen Hochzeitsreise. Genüsslich, so scheint es zumindest, vermerkt das Ehepaar Jens "penible philologische Forschungen" hätten in Thomas Manns Notizbuch die Namen von Ärzten identifiziert, die "[...] auch in diskreten Regionen Bescheid wußten."
Und:
"Vielleicht hatte eine Zürcher Gynäkologin die junge Frau verständig beraten, so, wie es im Fall des Partners zwei Nervenärzte oder der Hypnotiseur Dr. med. Ringier getan haben mögen."
Neun Monate später wurde das Kind übrigens geboren.
Hypnotiseur - ich fand's lustig.
Waldorff, 14:07h
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